Abgeschickt von Werner am 24 Mai, 2011 um 18:05:44:
2. Teil:
Die folgenden Ausführungen beziehen sich vor allem auf Canyons, die in besonderem Masse gepflegt werden, wie in Italien die durch das Projekt Pro Canyon betreuten Canyons oder in manchen Gegenden administrativ eingerichtete Canyons (zur Förderung des Tourismus und zur Verbesserung der Sicherheit), z.B. in den französischen Seealpen oder in Italien der Rio Barbaira. Solche Aktionen sind natürlich sehr zu begrüßen, trotzdem gibt es gerade bei solchen Canyons spezielle Probleme (neben denen, die ich im 1. Teil erwähnt habe), vor denen ich warnen möchte. Ich betone, daß ich hier nicht von solchen Canyons rede, die von Privatpersonen eingerichtet wurden oder von kommerziellen Führern für ihre eigenen Bedürfnisse.
Auf ein zweites Problem möchte ich hinweisen, das ich vor allem in Italien häufig beobachtet habe. Achtet selbst mal darauf, ob ihr in italienischen Canyons Stellen findet, wo man einen Standplatz NOCH exponierter und unzugänglicher oder NOCH weiter entfernt vom Wasserfall hätte einrichten können: ihr werdet wohl selten eine Möglichkeit finden. 10, ja 20 Meter vom Wasserfall entfernt abzuseilen ist Italienern gerade recht, wenn sie eine Möglichkeit dafür sehen. Wohlgemerkt, ich habe nichts dagegen; jeder sollte Canyoning nach seinen eigenen Vorstellungen machen können. Nur: Zu einem gut eingesicherten Canyon gehört auch, daß man dem Lauf des Wassers folgen kann, sofern dies die Wasserführung im Normalfall zuläßt.
Beispiel: Der Rio Prialunga in Ligurien wird von den Italienern als exzellent oder optimal eingesichert bezeichnet. Tatsache ist aber vielmehr, daß Sicherungen teilweise FEHLEN, jedenfalls an entscheidender Stelle und in der logischen Route, also wenn man dem Lauf des Wassers folgt. Da dieser Bach generell nur wenig Wasser führt, so daß man eher froh ist, wenn man im oder wenigstens neben dem Wasser abseilen kann, gibt es keinen Grund, die Sicherung 10 m entfernt vom Wasser zu setzen (und ohne Möglichkeit, dorthin zu gelangen, wenn man nicht schon weiter oben den Bachlauf verlassen hat!).
Ich möchte darum eine Warnung aussprechen, insbesondere an weniger erfahrene Canyonisten, die sich freuen, wenn sie lesen, daß ein Canyon hervorragend eingesichert ist: Vorsicht bei Canyons, die angeblich exzellent oder optimal eingesichert sind (wenn diese Bewertung von denselben Leuten stammt, die die Sicherungen gesetzt haben) ihr könnt dort eventuell eine sehr böse Überraschung erleben.
Grundsätzlich möchte ich betonen: ZU EINEM GUT EINGESICHERTEN CANYON GEHÖRT, DASS MAN MÖGLICHST NAHE DEM WASSERLAUF BLEIBEN KANN (WENN NICHT ZWINGENDE GRÜNDE DAGEGEN SPRECHEN) UND DASS ANDERERSEITS DIE SICHERUNGEN SO ANGEBRACHT SIND, DASS MAN AUCH BEI HOHEM WASSERSTAND MÖGLICHST KEINE PROBLEME BEKOMMT EVENTUELL WIRD MAN AN MANCHEN STELLEN ALSO ZWEI SICHERUNGEN ANBRINGEN, EINE FÜR NORMALWASSER UND EINE FÜR HOHEN WASSERSTAND.
Übrigens kann man in italienischen Beschreibungen öfters so etwas lesen: Längster Abseiler 28m, Seilbedarf 2 x 60m. Ich komme dann zwar gut mit 2 x 30m aus (+ einem Seil für einen Handlauf), die Angabe ist aber ein Indiz, daß ich mir sage: Vorsicht, hier sind Schikanen eingebaut, die das Canyoning erschweren (bei Ancoraggi: eccellenti rechne ich damit sowieso).
In diesem Zusammenhang muß ich zuletzt noch eine Unsitte anprangern, die in den genannten Canyons leider generell angewandt wird, und auch sonst oft von Sanierern nämlich das Entfernen anderer Haken.
Ganz zweifellos wird man in zwei Fällen alte Haken beseitigen müssen, nämlich wenn die neuen und besseren Haken an die gleiche Stelle wie die früheren gesetzt werden oder wenn Haken ganz eindeutig zu gefährlich sind (bezüglich Belastbarkeit oder Position) was aber nur selten der Fall ist.
Wenn in anderen Fällen Haken entfernt werden, liegt die Ursache wohl in einer der folgenden Überlegungen:
1. Wer neue Haken setzt, will natürlich, daß diese benützt werden psychologisch verständlich, aber sachlich nicht gerechtfertigt. Man sollte sich damit begnügen, anderen eine Möglichkeit anzubieten, nicht aber jeden zwingen, nur das zu tun, was man selbst für richtig hält.
2. Die alten Haken sind weniger gut, was ihre Haltbarkeit betrifft, und die Sanierer wollen und können natürlich nicht für die früheren Haken Verantwortung übernehmen. Aber das verlangt ja auch niemand! Ich denke, jeder Canyonist kann sehr wohl die sehr stabilen neueren Haken von anderen, etwas poplig aussehenden (aber trotzdem haltbaren!) unterscheiden. Oder erwarte ich da zuviel? Im Zweifelsfall könnte man die guten Haken ja farblich (z.B. blau) markieren.
3. Die Sanierer halten die Position früherer Haken für nicht optimal. Vermutlich überlegen sie so: Bei diesen Haken muß man durchs Wasser abseilen und da ist ein möglicher Fehler beim Abseilen äußerst kritisch; also entfernen wir diese Haken und setzen die neuen weit abseits des Wasserfalls. Ich möchte die Bestrebungen, Canyoning möglichst idiotensicher zu machen, nicht grundsätzlich verdammen und bin in gewissem Maße auch bereit, auf einen Teil meines Vergnügens zu verzichten, wenn es der allgemeinen Sicherheit dient, aber ich erhebe entschieden Einspruch, wenn man prinzipiell der großen Zahl von Nichtidioten bzw. Könnern ihr Vergnügen wegnimmt, nur weil vielleicht einige wenige, die das in Selbstüberschätzung nachmachen, dabei eventuell verunglücken könnten (bei dieser Überlegung müßte man, konsequent gedacht, Canyoning überhaupt verbieten).
Darum mein Appell: ENTFERNT KEINE SICHERUNGEN, NUR WEIL IHR SIE FÜR NICHT OPTIMAL HALTET!
Andere Canyonisten haben vielleicht Schwierigkeiten, die vermeintlich optimalen Haken zu erreichen, oder sie bevorzugen eine andere Route, oder durch besondere Ereignisse (Hochwasser, Felssturz) sind die anderen Haken nicht zu benützen. Außerdem: Es ist meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Unfall kommt beim Versuch, einen schwer zugänglichen Haken zu erreichen. Und dann werden diejenigen sich verantworten müssen, die andere zwingen, nur ihre Haken zu verwenden, indem sie systematisch alle anderen Sicherungen entfernen (das ist der entscheidende Punkt, denn das Setzen eines Hakens bedeutet noch keine besondere juristische Verantwortlichkeit!) jedenfalls wenn der Gutachter und der Richter die Sache so ansehen wie ich, und damit solltet ihr zumindest rechnen. Denn von jemandem, der so handelt, kann und muß man erwarten, daß er einschätzen kann, ob ein anderer und eventuell bei anderen Verhältnissen (z.B. bei hohem Wasserstand) hier Schwierigkeiten bekommen könnte.
Hier noch ein Tip für alle, die bei angeblich exzellent eingesicherten Canyons kein Setzzeug mitnehmen: Nehmt für den Notfall wenigstens ein oder zwei Schrauben des alten Petzl-Systems mit passenden Laschen und kleinem Schraubenschlüssel mit. Denn in den meisten Fällen wurde dieses System von den Erstbegehern verwendet, und wenn die Schrauben entfernt wurden, so sind die Dübel noch im Fels und in der Regel sind sie an richtiger, jedenfalls gut zugänglicher Stelle.