Abgeschickt von Werner Baumgarten am 21 Juli, 2007 um 20:54:20:
Dankenswerterweise wurde mir vom Hersteller ein 100m-Seil zum Testen zur Verfügung gestellt. Nach ca. 10 Touren hier mein erster Eindruck.
Vorbemerkung: Das Seil ist laut Herstellerangabe aus Polypropylen. Da ich bisher sonst nur Polyamidseile verwendet habe, kann ich das getestete Seil nur mit solchen Statikseilen vergleichen, nicht mit anderen schwimmfähigen Canyoningseilen. Seile ganz oder teilweise aus Polypropylen haben den Vorteil, daß sie leichter sind und schwimmen, aber den Nachteil von geringerer Abriebfestigkeit. Schon in der zweiten Auflage des französischen Technikhandbuchs (von 1999) wird gleich zu Beginn (S. 4) ausdrücklich von der Verwendung von schwimmfähigen Seilen (mit Polypropylenkern) für die heute weitgehend übliche Einfachseilmethode abgeraten, da sie sehr schnell beschädigt werden. Dennoch scheint immer noch Nachfrage für solche Seile zu bestehen, sonst würden sie von den Seilherstellern nicht angeboten.
In verschiedenen deutschsprachigen Handbüchern älteren Datums werden die schwimmfähigen Seile als ideal geeignet fürs Canyoning bezeichnet, ohne auf den gravierenden Nachteil des Materials hinzuweisen. Mündliche Erfahrungsberichte bestätigen jedoch das Urteil der Franzosen. Der Vorteil des geringeren Gewichts und der größeren Flexibilität ist nicht von der Hand zu weisen, die Schwimmfähigkeit ist nicht notwendig (und nicht einmal immer von Vorteil), dagegen ist die geringere Abriebfestigkeit ein Manko nicht nur für die Lebensdauer des Seils (und damit letzlich für die Kosten) sondern auch für die Sicherheit. Übrigens sind Statikseile aus Polyamid schon in der Anschaffung preisgünstiger als die sogenannten Canyoningseile. Auch die Fa. Kani bietet solche Statikseile an, von mir nicht getestet.
Aber jetzt zum getesteten Seil selbst. Das Seil ist sehr schön leicht, 46 g pro Meter (gemessen, laut Herstellerangabe sollten es 60 g sein). Es ist sehr flexibel und dadurch im Handling viel angenehmer als die doch recht steifen (vor allem nach längerem Gebrauch) Polyamidseile. Gleich bei der ersten Tour wurde das Seil unter harten Bedingungen getestet (im Schoßbach): 80 m Abseiler, überhängend mit scharfer Kante, am Einfachseil, drei Personen nacheinander - davon zwei mit Seilschoner, eine ohne -, das Seil wurde nach jedem Abseilvorgang etwas verschoben. Nach der Tour wies das Seil einige kleinere Beschädigungen des Mantels auf; an zwei Stellen ist der Seilkern zu sehen. Allerdings wurden bei diesem Abseiler bei weniger vorsichtiger Vorgehensweise auch schon Polyamidseile komplett zerstört (Mantel auf größerer Länge völlig abgerieben, Seilkern stark beschädigt). Positiv überrascht war ich von dem geringen Federn des Testseils während des Abseilens.
Ansonsten weist der Seilmantel bis jetzt nur harmlose kleine Auffaserungen auf. Jedoch kann ich über die Dauerhaftigkeit des Seils noch nichts sagen, dafür waren es bis jetzt zu wenige Touren (und nur in Kleingruppen). Außerdem ist zu bedenken, daß bei mir der Regelfall immer noch das seilschonende Abseilen am Doppelseil ist (Regelfall bedeutet hier: Abseillänge abschätzbar, keine erhebliche Gefahr beim Abseilen im Wasserfall oder bei Ankunft im Gumpen, erfahrene Teilnehmer).
Als (vorläufiges!) Fazit möchte ich festhalten: Für Canyonisten, die auf leichtes Gewicht besonderen Wert legen und ihr Seil überwiegend "soft" anwenden (d.h. keine starke Reibung bzw. scharfe Kanten, keine großen Gruppen, kein Aufstieg am Seil, seilschonendes Verhalten), ist das getestete Seil gut brauchbar. Was die Abriebfestigkeit betrifft, halte ich das in der Vorbemerkung erwähnte Urteil für begründet; es konnte von mir in der kurzen Zeitspanne aber bisher nicht verifiziert werden. Hier kann erst längerer und härterer (läßt sich ja nicht immer vermeiden) Gebrauch Auskunft geben.
In Anbetracht der doch erheblichen Abweichung des (leicht nachprüfbaren) Gewichts von der Herstellerangabe bin ich bei der weniger leicht nachprüfbaren Angabe der Zugfestigkeit (1700 kg bzw. mit Achterknoten 1000 kg) mißtrauisch. Bei "normaler" Anwendung gibt es wohl kein Problem; vorsichtig wäre ich bei großen Zugkräften, z.B. bei einer stark gespannten Tyrolienne.