Techniken in der Canyonpost


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Abgeschickt von Martin Pahl am 13 Dezember, 2009 um 10:42:41:

Welche Techniken?

Beim Lesen der neuen Canyonpost sind mir im Artikel über den Canyoningkurs ein paar Techniken aufgefallen, die ich bestenfalls als überflüssig, überholt oder von akademischen Interesse, evtl. sogar als gefährlich bezeichnen würde. Und die nicht (mehr) als Standardtechniken gelehrt werden sollten. Worum geht es?

1. Valdotain:

Der Valdotain - ein Seilstück, mit dem man am gespannten Seil abseilen kann - wurde früher empfohlen, um möglichst schnell einen am Seil hängenden Verunfallten zu erreichen. Mittlerweilen überflüssig, weil jetzt gelehrt wird, daß immer ein entsprechend langes Reserveseil für eine Rettung oben bleiben muß. Aber wäre ein Valdotain nicht eine gute zusätzliche Rettungsmöglichkeit? Der Valdotain hat einige gravierende Nachteile (hier nur die wichtigsten):

Sehr selten in der Praxis einsetzbar da:

- funktioniert nur am Doppelseil - und mittlerweilen wird an kritischen Stellen ja eigentlich immer lösbar am Einfachstrang abgeseilt.

- das Seil muß bis zum Verunfallten absolut frei hängen. Mit dem Gewicht des Verunfallten am anderen Ende können selbst kurze aufliegende Stellen oder Kanten zum unüberwindlichen Hindernis werden - der Retter muß evtl. selbst gerettet werden, während der zu Rettende ....

- hat man den zu Rettenden tatsächlich erreicht, so hat man einen außerst eingeschränkten Bewegungsradius für die Bergung / Rettung. Von einem getrennten Seil aus hat man sehr viel mehr und bessere Optionen. Damit verliert auch der angebliche Zeitvorteil an Bedeutung.

Meine Empfehlung: laßt die Valotains zu Hause und nehmt lieber ein zusätzliches leichtes Reserveseil mit. Übt lieber die Übernahme auf ein getrenntes Seil o.ä.


2. Die lösbare Verbindung für Doppelseil mit Doppelachter (Bild: Hintersicherter Doppelachter):

Hier würde die Begründung länger ausfallen, aber kurz zusammengefasst:

- braucht zusätzliches Material (Doppelachter oder 2 Achter)

- sehr kompliziert und damit in Streßsituationen fehleranfällig, je nach Situation und Verwendung nicht nur für den Bediener, sondern auch für den am anderen Ende des Seils.

- löst nicht das Problem, daß man einen am (unverknoteten) Doppelseil hängenden nicht einfach ablassen kann, wenn das Seil durch die Öse gefädelt ist und man nicht sehr viel Seil über hat..

Zusammengefasst: Wenn ich in eine Situation komme, in der dieser Einbau sinnvoll sein könnte (und ich muß ja immer vor dem Abseilen entscheiden, was ich einbaue), dann fällt mir keine Situation ein, in der ich nicht besser etwas einfacheres und zweckmäßigeres einbauen könnte. Interessanterweise konnte mir auch ein Kursteilnehmer nicht sagen, wozu dieses Konstrukt wirklich zu gebrauchen ist. Fazit: Für die Praxis überflüssig.

3.Im Artikel über das AIC-Treffen würde am Rande die Technik erwähnt, beim Abseilen das Seil ständig nachzulassen ("aktives Nachlassen"). Dabei soll wohl angeblich der Seilverschleiß an scharfen Kanten verringert werden. Daß diese Technik den Seilverschleiß insgesamt deutlich erhöhen kann und auch andere Probleme birgt wird dabei übersehen.

Warum ist das so? Seilverschleiß tritt hauptsächlich dann auf, wenn eine Faser mit entsprechendem Druck über eine Kante mit sehr kleinem Radius gezogen wird. Je größer der Druck, je kleiner der Radius und je häufiger der Vorgang, desto größer die Beschädigung. Dabei sind nicht nur die großen, sichtbaren Kanten von Bedeutung, sondern auch die mikroskopisch kleinen Kanten bestimmter Mineralien (Quarze, Feldspäte, usw). Letzteres ist vom Gestein abhängig.

Im Kalk normalerweise kein Problem, in Graniten und Gneisen durchaus. Am Bares haben wir z.B. in wenigen Seillängen ein Seil auf voller Länge komplett aufgerieben, obwohl nur über abgerundete Buckel abgeseilt wurde. Nur die im Gestein freigewitterten Kanten der Mineralien dienten als winzige Messer, die Sägewirkung wurde durch das leichte, nicht ganz vermeidbare Wippen beim Abseilen und die Seildehnung erzeugt. Gleichzeitiges Ablassen während des Abseilens hätte diesen Effekt noch sehr verstärkt.

An scharfen einzelnen Kanten im Kalk kann man durch "aktives Ablassen" oder Seilverschieben den Verschleiß auf eine größere Seillänge verteilen, so daß das Seil nicht gleich an einer Stelle "durch" ist. Trotzdem verursacht das Bewegen unter Last einen deutlichen zusätzlichen und oftmals unnötigen Verschleiß. Und gerade eines der seilgefährlichsten Phänomäne wird weder durch Verschieben noch "aktives Ablassen" verhindert: das seitliche Verschieben, Verrutschen oder Umspringen, weil man zu sehr aus der Fallinie gegangen ist und es einen dann wieder dorthin zurückhaut.

Was ist also sinvoll:

- Seil nach jedem Abseilen etwas verschieben, aber nur in absoluten Ausnahmefällen unter Last

- wenn möglich scharfe Kanten meiden, abstumpfen, mit Rucksack oder Seilschoner abdecken.

- möglichst wenig dehnfähige Seile verwenden, evtl. auch die neuen Seile verwenden, wo Mantel und Kern etwas verbunden sind (geringere Gefahr des Mantelrisses)

- lange Abseiler mit Kanten nur am Doppelseil, um die Seildehnung und damit den Verschleiß zu verringern

- gleichmäßig abseilen, nicht wippen, ruckeln oder gar ins Seil springen

- möglichst in Fallinie abseilen und immer überlegen, welche Auswirkungen die eigenen Aktionen auf das Seil haben



Ich wünsche Euch allen ein gutes, sicheres und unfallfreies Canyoningjahr 2010, und hoffe auf viele interessante Diskussionen zum Thema Canyoning und Sicherheit, die unseren Sport auch wirklich voranbringen.


Martin Pahl





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