Abgeschickt von Martin_P am 16 August, 2012 um 10:06:24:
Antwort auf: Re: Klettersteigset von Klaus am 12 August, 2012 um 17:01:07:
Hi allerseits,
eindrucksvolles Material. Danke, Elke.
Klettersteigsets dienen zum schnellen absichern auf Klettersteigen. Das System aus Gurtzeug und Fallstossdämpfer bietet aber sehr viel weniger Sicherheit als eine herkömmliche Seilsicherung - dafür ist es leichter, schneller und einfacher in der Handhabung. Eigentlich geht es fast nur darum, einen Absturz durch Ausbrechen der Verankerungspunkte oder ein Reissen von Schlingen oder sogar Karabinern zu verhindern. Die Schonung des Körpers beim Abfangen (weicher Sturz) muss dabei hinter der Gefahr des Aufschlagens auf Felsen oder Stahlteilen zurückstehen. Die Bergwachten gehen davon aus, dass es bei Stürzen dieser Art auf Klettersteigen fast immer zu schweren oder schwersten Verletzungen kommt - im Gegensatz zu den Stürzen z.B. an der Kletterwand.
Bitte also nicht der Meinung sein, beim Canyoning mehr Sicherheit durch den Einsatz einer Klettersteig-Seilbremse erreichen zu können.
Wenn also eine klettersteigähnlich ausgebaute Etappe im Canyon auftreten sollte, die man ausnahmsweise - z.B. mit Anfängern oder Kindern - zusätzlich absichern möchte, dann geht das deutlich besser mit klettertechnischen Sicherungsmethoden. Zumal man eh schon alles notwendige dabeihat (Seil, Karabiner, HMS-Karabiner). Und entgegen der landläufigen Meinung ist es dabei auch kein Problem, dass wir mit (halb)statischen Seilen unterwegs sind, da hier nicht der (Norm)Fangstoss des Seiles, sondern die Dynamik der Sicherungsmethode entscheidend ist.
So, jetzt wirds technisch. Eigentlich hätte ich es wie die letzten Jahre auch einfach auf den Technik- und Sicherheitsseiten einstellen können, aber dieser Zugang wird mir jetzt seit einem 3/4 Jahr verweigert. Nicht, weil ich dort etwas falsches, kritisches oder gar vereinsschädigendes eingestellt habe, sondern weil ich es gewagt habe, auf der Pinnwand Entscheidungen des DCV öffentlichlich zu kritisieren. Die im Vereinsorgan propagierte Verwendung von Homöopathie als Erstmaßnahme bei Unfällen dagegen war aber wohl sicherheitstechnisch ok - verstehe das wer will!
Die Verwendung des Sturzfaktors stammt aus der Frühzeit der wissenschaftlichen Sturzuntersuchungen. Diese Zahl besagt nur das Verhältnis von Sturzhöhe zu ausgegebener Seillänge. Also diejenige Seillänge, die bei einer statischen Sicherung den Sturz aufnehmen muss. Im Normalfall kann dieser Wert maximal 2 sein: Beispiel: in einer Wand kletterert der Vorsteiger die volle Seillänge ohne Zwischensicherungen aus und stürzt. Er fällt dann 2x die Seillange (die Seillänge vom höchsten Punkt zum Standplatz und dann nochmalsoviel weiter nach unten + Seildehnung - die geht aber hier nicht ein).
Die maximale Kraft, die beim Abfangen auf den Körper einwirkt ist nicht von der Sturzhöhe abhängig, sondern nur von dem Sturzfaktor und den Eigenschaften des Seiles. Lediglich die Dauer der Belastung ist von der Höhe abhängig. So ähnlich wie sich der Bremsweg eines Autos bei gleicher Bremskraft und höherer Geschwindigkeit verlängert.
Je nach Verwendungszweck gibt es veschiedene Normen, um die Eigenschaften von Seilen zu beschreiben. Bei einem (Einfach)Kletterseil muß der Fangstoß bei einem Normsturz von Sturzfaktor ca. 1,8 bei <ca. 1200KP, bei einem Halbdynamischen Canyoningseil so ca. <1800KP.
Bei einem Klettersteig können aber ganz andere Belastungen auftreten. Bei einem Sturz an einer Leiter, die mit einem Stahlseil abgesichert ist (vollstatisch) können z.B. Sturzhöhen von 3 m auftreten, bevor der nächste Fixpunkt kommt. Grob gerechnet ergibt das bei einer Lanyardlänge von 60cm einen Sturzfaktor 3,60/0,6 = 6! Auch bei der Verwendung eines Bergseiles als Lanyard ergibt das einen Fangstoß von 1200/1,8*6 = 4000KP, also landläufig 4 Tonnen! Das halten weder Körper, noch Lanyard, noch Karabiner noch Sicherungspunkte aus. Daher der Falldämpfer, der diese Belastungsspitzen abbauen soll.
Beim Canyoning können wir aber notfalls ganz anders sichern. Und da gibt es ja auch noch die "Italienische Schule (aber bitte an dieser Stelle keine weiteren Diskussionen dazu - wie Romy hier mal geschrieben gibt es bei uns keinen, der bei diesem Thema wirklich kompetent wäre und mehr als den italienischen Anfängerkurs gemacht hätte) Dort gibt es vermehrt Querungen zu ausgesetzten Abseilpunkten, die auch abzusichern sind. Mit Seil, Halbmastsicherung und Zwischensicherungen lassen sich diese Stellen sauber absichern, ohne jegliches zusätzliches Material. Nachzulesen bei Riml oder in jedem älteren Kletterlehrbuch. Auch ein Kletterkurs könnte helfen. Allerdings nicht unbedingt mit GriGri senkrecht an der Kletterwand. Also vorher schlau machen.
Und weil immer noch behauptet wird: mit statischen Canyoningseilen geht das nicht: mit Halbmastwurf oder Tuber reden wir von Bremskräften in der Region von 220-350 KP, da ist es - bei korrekter Sicherung - egal ob das Seil einen Normsturz-Fangstoss von 1200 oder 1800KP hat.
Also: ruhig mal über den Tellerrand schauen und auch das Wissen unserer kletternden Kollegen aufgreifen. Die Betreiben Ihren Sport viel länger als wir und davon können wir eigentlich nur profitieren.
P.S. Bitte die Verwendung der alten Einheiten zu entschuldigen, es musste schnell gehen. Werde die das nächste mal konvertieren.
Viele Grüße,
Martin