Abgeschickt von Martin Pahl am 30 Juli, 2011 um 07:58:31:
Antworten:
: Der in der neuesten CP vorgestestellte französische Longentest (http://efs.ffspeleo.fr/groupe-detude-technique-get/37-les-longes-spelunca-107/download) erscheint beunruhigend, ist in Wirklichkeit ein (für den Fachkundigen durchaus sinnvoller) Labortest, der sich aber so nicht unmittelbar in die Praxis übertragen läßt. Wir sollten uns also nicht verrückt machen lassen und nicht gleich die gekauften Longen (z.B. Spelegyca o.ä.) in den Müll werfen. Immerhin gibt es ja wohl entgegen den Ergebnissen der Tests kaum Berichte über gerissenen Longen oder Wirbelsäulenverletzungen beim sturz in die Selbstsicherung. : Worin liegt also das Problem? Ausgeführt wurden Falltests mit Sturzfaktor 1 (Sturzhöhe/ausgegebene Seillänge = 1) mit freiem Fall und vermutlich einem Eisengewicht ohne jegliche Reibung oder Dämpfung (außer durch evtl. vorhandene Knoten). : Während (zu?) vereinfacht ein Sturz mit Faktor 1 unabhängig von der Sturzhöhe und etwaiger Dämpfung immer mit dem gleichen Fangstoß (der abhängig von den Seileigenschaften ist) betrachtet wird - also egal ob 4cm, 40cm oder 40m - so gibt es doch gravierende Unterschiede: die gesamtaufzunehmende Fallenergie und die Dauer des Fangstoßes, also die Zeitdauer, während der die Fallenergie vom Seil aufgenommen wird . Und dieser steigt ja mit der Sturzhöhe, so ähnlich wie sich Bremsweg und Bremsdauer eines Autos bei gleicher Bremskraft aber höherer Geschwindigkeit verlängert. Und das spielt durchaus eine Rolle, da die meisten Materialien, wie auch der menschliche Körper, sehr kurze Belastungen sehr viel besser vertragen als die die gleiche Belastung über einen längeren Zeitraum. Wohlgemerkt, wir reden hier von Zeiten im Bereich von Millisekunden bis < 1 Sekunde. : Schon 1969(!) erschien dem Sicherheitskreis des DAV der Falltest mit einem Eisengewicht praxisfern, da der menschliche Körper des Gestürzten als Dämpfungselement wirken müsse (Körperverfomung durch das Gurtzeug, Eigenbewegung der Gliedmaßen, des Fett- und Muskelgewebes, wahrscheinlich auch der Gesichtszüge ;-) ). Es wurden also Vergleichstests mit Eisengewicht und Mensch durchgeführt, wobei sich das menschliche Opfer (Pit Schubert) dabei einen dauerhaften, aber zum Glück nicht allzu gravierenden Wirbelsäulenschaden zuzog. Verständlich, daß die meisten nachfolgenden Tests - auch wegen der Reproduzierbarkeit - wieder mit Eisengewichten gemacht wurden! Ergebnis war aber, daß der Fangstoß beim Eisengewicht 50% höher als beim menschlichen Körper war. Auch im aktuellen "BergundSteigen" 2/11 wird bei etwas anderer Problematik (Klettersteigsets) auf den Unterschied von Metallgewicht und Mensch (hier Dummy) eingegangen. : Der menschliche Körper hat aber nur ein begrenztes Energieaufnahmevermögen bevor es zu Schäden kommt, bzw. bevor die Dämpfungswirkung "aufgebraucht" ist. D.h. je länger der Sturz desto geringer der Einfluß der Körperdämpfung auf das Gesamtsystem, oder auf unseren Fall bezogen: je kürzer die Longe, desto mehr vermag die Körperdämpfung die Fangstoßspitze abzubauen. : Ich habe leider nicht die Seillängen des Schubert-Versuchs von 1969 herausbekommen können - ich vermute aber deutlich längere Seillängen als beim Longentest. Damit wäre der Abbau der Fangstoßspitze bei den üblichen Longenlängen noch deutlich größer als im Schubert-Test und man läge wahrscheinlich bei allen Longensystemen im sicheren Bereich. : Andere Faktoren, die zu einer zusätzlichen Dämpfung führen können, wie z.B. kein freier Fall (Reibung am Fels und Abweichung vom senkrechten Fall mit Pendeleffekten) sollen hier nicht berücksichtigt werden. Auch nicht der Fall der geknoteten Longe, die schon einmal belastet wurde. Diese sind Spezialfälle, die kaum verallgemeinert werden können. : Was bleibt als Fazit? Vorsicht bei der Übertragung der Ergebnisse von Labortests in die Praxis. Ich werde jedenfalls meine Dyneema-Longe (mit so ziemlich dem härtesten Fangstoß aller gängigen Materialien) weiterhin bedenkenlos beim Canyoning einsetzten, da die Vorteile (schlank, leicht handhabbar, keine dicken Knoten) den möglichen Nachteilen bei einem Sturz mit max. 60 cm Longe und hohem Sturzfaktor (der meiner Meinung nach beim Canyonig sowieso eher unwahrscheinlich ist ist) für mich bei weitem überwiegen. : Auch die Vorstellung von neuer Knoten, hier des "Schlingenknotens", ist in der CP prima aufgehoben. Dieser Knoten - ein halber doppelter Spierenstich, bei dem das zu belastende Seilende einfach eine Schlaufe bildet und dann ohne weitere Knoten durch den bereits geknüpften Knoten zurückgefädelt wird - hat durchaus seinen Sinn, birgt jedoch eine erhebliche Gefahr: bei Belastung des falschen Seilendes - und der ist beim fertigen Knoten nur schlecht zu erkennen - zieht es den Knoten fast unweigerlich auf. Fast, weil er je nach Bedingungen auch klemmen kann, was ihn als Laufknoten wiederum ungeeignet macht. Das richtige Seilende ist zwar leicht zu überprüfen, indem man kräftig am Belastungsseil zieht, die Erfahrung lehrt aber daß jeder Fehler der gemacht werden kann auch irgendwann gemacht wird. Also definitiv kein Anfängerknoten, sondern eher was für Spezialisten, die sehr genau wissen,was sie tun. Ach ja, noch ein Nachteil beim Gebrauch in der Selbstsicherung: da einfach genommen (also nicht als geschlossene Schlinge) sinkt die Reißfestigkeit des verwendeten Seilstücks aufgrund des Knotens auf ca. 50% der Reissfestigkeit des verwendeten Seilstücks, es darf also nicht zu dünn sein - und das macht wiederum die Knoten dick ... : Gruß, : Martin Pahl