Abgeschickt von Martin Pahl am 11 Oktober, 2009 um 09:38:06:
Antwort auf: Warum trägt man beim Canyoning nur Hüftgurt? von Christina am 09 Oktober, 2009 um 10:28:26:
Ein Komplettgurt, Sitz/Brustgurt dient in erster Linie dazu, den Fixierungspunkt im Verhältnis zu körpereigenen Schwerpunkt nach oben zu verlegen, um gerade beim Sturz mit höherem Sturzfaktor( z.B. Vorstieg beim Klettern) nicht Kopfüber zu fallen, dabei Wirbelsäule, bzw. Weichteile ungünstig zu belasten, bzw. anschließend (bewußtlos?) kopfüber zu hängen.
Beim Canyoning sind Stürze mit höherem Sturfaktor unbedingt zu vermeiden, da die Belastungsspitzen aufgrund des verwendeten Materials ("statische" Seile, keine dynamischen Sicherungen) nicht abgebaut werden. Folge: die Belastungen für Körper und Sicherungspunkte wären sehr hoch. Ist aber beim Canyoning kein Problem, da ja normalerweise nicht aufwärts geklettert wird. Die höchsten Belastungsspitzen treten hier erstaunlicherweise am ehesten beim Wegrutschen direkt an einem ungünstigig plazierten Sicherungshaken auf (dann fast Sturzfaktor 2 möglich!).
Beim Canyoning darf der Fixpunkt aber nicht zu hoch liegen. Sehr oft seilt man schräg im Wasserfall ab. Je höher de Anseilpunkt ist, desto schneller werden einem die Beine vom Wasserdruck weggerissen. Lediglich frei im sehr kräftigen Wasserfall hängend wäre ein höherer Anseilpunkt vielleicht günstig, meist liegt das Problem aber eher an einem zu großen/schweren/lockeren Rucksack, den man unter den Umständen besser hinabgeworfen oder an die Seite genommen hätte.
Dass Große/Gewichtige einen Komplettgurt tragen sollten halte ich für völlig unnötig. Mit 1.90m/~ 100Kg Kampfgewicht incl. Ausrüstung, der auch fast alles mit Rucksack macht, ist für mich ein reiner Sitzgurt optimal. Wobei die Höhe des Anseilpunkts auch bei den Sitzgurten unterschiedlich ist, da muß man individuell probieren.
Ein anderer Nachteil eines zu hohen Anseilpunktes ist die eingeschränkte Beweglichkeit: anders als beim Klettern wird Beweglichkeit vor allem beim Hängen am Seil verlangt. Und je weiter sich der Anseilpunkt von Körpermitte/Körperschwerpunkt nach oben verschiebt, umso geringer und anstrengender wird der Einsatzradius von Händen und Füssen. Bei dem früher üblichen "deutschen Anseilen" - also nur Brustgurt - war man beim freien Hängen im Seil fast völlig bewegungsunfähig.
Lediglich bei bei (noch zu) jungen Kindern, bzw. völligen Neulingen, die ohne eigenes Zutun abgelassen werden, könnte ein Komplettgurt oder eine zusätzliche Brustschlinge zur Stabilisierung vielleicht hilfreich sein. Kinder, die so jung sind, daß sie wegen des instabileren Knochen/Bändersystems ein unbedingt Komplettgurt brauchen, um nicht herauszurutschen haben m.E. in Schluchten wo die beschriebenen Probleme auftauchen können eh noch nichts zu suchen, da sollten die Eltern eher eine nette "Spiel"-schlucht suchen. Dort ist ein Komplettgurt natürlich ok.